Die Ladegast-Jehmlich Orgel
Ende des 19. Jahrhunderts war Chemnitz eine aufstrebende Industrie- und Kulturstadt. Am Ende des 19. Jahrhundert erlebte Chemnitz einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Waren es 1899 180.000 Einwohner, so zählte die Stadt 1930 bereits 360.000. Das alte Stadttheater und das Thalia-Theater reichten nicht mehr, 1901 wurde das Kaufmännische Vereinshaus und 1902 das Central-Theater (beide mit 2000 Plätzen) errichtet.
1914 existierten 37 Musikvereine und 100 Sängervereinigungen. In diesem reichen öffentlichen Musikleben spielten die Chemnitzer Kantoren eine bedeutende Rolle. Neben den Kantoreien etablierten sich Madrigalchöre und Chorvereinigungen, die unter der Leitung von Kantoren standen. Bemerkenswert ist auch das regelmäßige Zusammenwirken mit der Singakademie und der Städtischen Kapelle. Mehrere Kirchen mit entsprechenden Orgeln wurden in großzügiger Weise errichtet. 1888 wurden drei große Orgeln fertiggestellt: die beiden Ladegast-Orgeln in der St. Jakobi- und der St. Petrikirche und die Jehmlich-Orgel in der St. Nikolaikirche. 1908 erhielt die Lutherkirche eine Orgel von Wilhelm Sauer (op. 1011); sie wurde 2007 durch Christian Scheffler restauriert.
Für den damals 70-jährigen Friedrich Ladegast war die Orgel in der St. Petrikirche von 1888 sein letztes großes Werk. In Verbindung mit der Kunsttischlerei Henning aus Chemnitz hatte er ein Orgelgehäuse erstellen lassen, welches zu den aufwendigsten Prospektbildern in Deutschland gezählt werden darf. In einer Chemnitzer Zeitungsbeilage zur Kirchen- und Orgeleinweihung vom Oktober 1888 schrieb Bürgerschuldirektor Gesell (Kirchenvorsteher in St. Petri): „Wir kennen keine moderne Orgel, die an Gediegenheit, Einfachheit bei aller Mannigfaltigkeit, Zweckmäßigkeit in Anlage und Einrichtung unserer Petri- Orgel den Rang abzugewinnen vermöchte, geschweige denn an Schönheit, Macht, Färbung und charakteristischer Abstufung der klingenden Register [… ] wahrlich, Chemnitz darf stolz darauf sein, eine Orgel zu besitzen, die zu den besten Deutschlands gezählt werden muss.“
Von dieser letzten großen Orgel Ladegasts sind heute noch das Orgelgehäuse, ein Großteil des Pfeifenwerkes und die Windversorgung vorhanden. In Folge der wirtschaftlichen Größe und finanziellen Leistungsfähigkeit der Stadt war man schon im Jahre 1913 in der Lage, das Ladegastsche Orgelwerk grundlegend umzugestalten und zu modernisieren. Die Größe der Orgel (III/58) blieb zwar unverändert, doch erhielt das Instrument pneumatische Kegelladen und einen pneumatischen Spieltisch mit zahlreichen Zusatzfunktionen. Ausgeführt wurde diese Arbeit durch die Firma Jehmlich in Dresden. Das II. Manual, zu dem ursprünglich ein Anteil an den Prospektpfeifen gehörte, wurde parallel zum III. Manual (Schwellwerk) ebenfalls in einem Schwellkasten untergebracht. Die Vox humana 8′ wurde separat als Fernwerk platziert und mit einem eigenen dritten Schwelltritt versehen. Sie ist auf dem III. Manual spielbar.
In den 1950-er Jahren wurde die Disposition durch Jehmlich im neobarocken Sinne verändert und 1987 die Kirche wegen baulicher Mängel und politischer Interessen stillgelegt. Im Zuge der politischen Wende und der Wiedervereinigung Deutschlands war es möglich geworden, die Kirche wieder zu sanieren und die Orgelrestaurierung in Angriff zu nehmen. Im Frühjahr 2003 untersuchten der Orgelsachverständige Christoph Zimmermann und der Orgelbauer Hartmut Schütz das nunmehr seit vielen Jahren nicht mehr klingende Pfeifenwerk. Daraus ergab sich als Zielstellung die Wiederherstellung der Jehmlich-Orgel von 1913 mit den Ladegastschen Teilen von 1888.
Den Auftrag erhielt die Orgelmanufactur Vleugels in Hardheim, die bereits zahlreiche Restaurierungen pneumatischer Orgeln ausgeführt hat. Auf Vorschlag der Firma Vleugels wurde neben dem konsequenten Beibehalten der reinen Pneumatik und der Rückführung auf den Zustand von 1913 zusätzlich eine elektrische Traktur mit einem zweiten, elektrischen Spieltisch vorgesehen.
Disposition der Ladegast-Jehmlich-Orgel:
Vom 18. bis zum 25. Oktober 2008 fand die Orgelfestwoche zur Wiedereinweihung der Ladegast-Jehmlich-Orgel in der St. Petrikirche statt. Das Restaurierungsergebnis, die einzelnen Klangfarben, die klangliche Gravität und die dynamische Bandbreite des Werks erfreuen Spieler und Zuhörer. Die größte Kirchenorgel von Chemnitz erklingt wieder – Kirche und Orgel fügen sich heute wieder zu einem Gesamtkunstwerk zusammen.
Siegfried Petri
Die Bilder wurden fotografiert von Siegfried Petri, Elsemarie Schaarschmidt und Ines Escherich.