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150 Jahre Schloßkantorei – Teil 1: Über das Singen


2. Juni 2025

In diesem Jahr feiert die Schloßkantorei ihr 150jähriges Bestehen. Sie wurde 1875, also im Jahr der Wiedereinweihung der Schloßkirche, gegründet. Seitdem gestalteten die Sängerinnen und Sänger unzählige Gottesdienste mit, sangen bei Hochzeiten, Taufen, Trauerfeiern, in liturgischen Vespern und Konzerten und bei vielen anderen Gelegenheiten in und außerhalb der Kirche.

Mit der Vereinigung der Schloßkirchgemeinde mit der Petri-Lukasgemeinde vereinigten sich auch deren beiden Chorgruppen der Schloßkantorei und der Heinrich-Schütz-Kantorei zur heutigen St.-Petri-Schloßkantorei.

Ich selbst bin seit über 40 Jahren Mitglied der Kantorei, und es war und ist mir und den anderen Sängerinnen und Sängern immer ein Anliegen, zur Ehre Gottes zu singen und zu musizieren, aber genauso zur Freude von uns selbst und von anderen Menschen. Und dabei hoffen wir, die Herzen unserer Zuhörer zu erreichen.

Ich könnte jetzt versuchen, die Geschichte der Kantorei nach zu erzählen. Viel lieber möchte ich Ihnen aber davon erzählen, was SINGEN bewirken kann. Das sollen zwei persönliche Erlebnisse von Kantoreimitgliedern verdeutlichen, die davon handeln.

So genau weiß ich es nicht mehr, ich muss vier Jahre alt gewesen sein. Mein Vater war damals Kantor in Gelenau. Es war der heilige Abend, und meine ältere Schwester und ich sollten jede in der Christvesper einen Vers von Vom Himmel hoch, da komm ich her ganz allein singen. Mein Vers war: „Merk auf mein Herz und sieh dahin.“ Ich konnte noch gar nicht lesen, sang also aus dem Kopf und hatte Zeit, mich in der Kirche umzuschauen, während ich sang (was kleine neugierige Mädchen eben so machen …) Beim Abendessen habe ich dann stolz verkündet, ich hätte beobachtet, dass eine Frau, deren Namen ich heute nicht mehr weiß, auf der zweiten Empore geweint hätte, während ich sang. Mir kam das ungeheuerlich vor bei so einem schönen Weihnachtslied, nur konnte ich damals noch nicht verstehen oder einschätzen, dass es vor Rührung gewesen sein muss.

Eine andere Geschichte erzählte Jan Brandenburger, ein junger Sänger aus dem Tenor. Seine Oma lag vor einigen Jahren auf der Intensivstation einer Rehaklinik, die Ärzte hatten sie aus medizinischer Sicht aufgegeben, und sie war schon seit mehreren Wochen nicht mehr ansprechbar. Eines Samstags forderte seine Mutter ihn und seine Geschwister auf, die Instrumente einzupacken, um Oma Weihnachtslieder vorzuspielen. Er konnte sich noch gut an die Argumente dagegen erinnern: „Oma kann das nicht hören“, „Oma liegt im Koma“, „die denken alle, wir sind verrückt, wenn wir das machen“. Aber die Mutter ließ nicht locker, und so fuhren sie alle hin.
Sie begannen mit einem Satz aus dem Weihnachtskonzert von Corelli – doch Oma zeigte keine Reaktion.

In dem Moment fühlten sie sich in all ihren Bedenken bestätigt. Dann schlug seine Schwester vor, „O Tannenbaum“ zu spielen. Sie begannen die ersten Töne als dreistimmigen Satz anzuspielen, und es geschah das Unfassbare: die Oma riss die Augen auf, griff nach der Hand seiner Frau und weinte mit vielen Tränen. Nach zehn Sekunden schloss sie die Augen wieder. Es war nur ein kurzer Moment, und die Hoffnung, dass sie, nachdem sie weitere bekannte Lieder gespielt und gesungen hatten, vielleicht noch ein letztes Mal mit ihr reden könnten, erfüllte sich nicht mehr. Aber diesen kleinen kostbaren Moment hat Jan Brandenburger in seinem Herzen bewahrt und wird ihn niemals vergessen.

150 Jahre Kantorei – das ist eine lange Geschichte vom Singen in der Chorgruppe und zugleich von Sängerinnen und Sängern, die viel Zeit, Kraft und Engagement in diese Arbeit investiert haben und es sicher auch weiterhin tun werden.
Die oben geschilderten Erlebnisse zeigen, wie uns das Singen selbst im vielen Lebenslagen bereichern kann und welch tiefe, prägende Erlebnisse es immer wieder bereithält. Deswegen glaube ich fest: Das Singen wird weitergehen – und sicher nicht nur weitere 150 Jahre!

E. Schaarschmidt / J. Brandenburger

Schloßkantorei