Nachdenken
30. September 2024
Dann stand ich staunend vor ihm – einem der Krüge zu Kana. So wird das dickbauchige Gefäß in der Schatzkammer des Münsters St. Maria und Markus auf der Insel Reichenau genannt. Einer der Krüge, in dem bei der Hochzeit zu Kana Wasser zu Wein geworden ist. Dieser Krug wurde um das Jahr 900 zu dem Kloster gebracht, das sich auf der Insel Reichenau befand. Damals stand für die Mönche wohl fest: Er war bei der Hochzeit zu Kana dabei. Sie hätten ihn sonst nicht so in ihr Kloster aufgenommen.
Das Jahr 724 gilt als Gründungsjahr des Klosters. 1300 Jahre Kloster Reichenau – guter Grund für Ausstellungen auf der Reichenau und in einem Museum in Konstanz unter dem Titel „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“. Ein schöner Anlass, an den Bodensee zu reisen.
Die Führung durch die Schatzkammer des Münsters ist ein Höhepunkt der Reise. Dort stehe ich vor dem Krug und überlege, wie viele Menschen ihn in den letzten Jahrhunderten wohl betrachtet haben. Den Gedanken, dass viele Menschen vor mir vor ihm gestanden haben, finde ich faszinierend. Sie haben dasselbe gesehen wie ich. Besser: Nicht alle ganz dasselbe. Der Krug wurde beschädigt und erhielt danach durch eine Reparatur das Aussehen, das wir heute betrachten können – und wie er auf dem Titelbild zu sehen ist.
Ob sie gedacht haben, vor einem wahren Krug aus Kana zu stehen oder nicht – Gegenstände wie dieser Krug veranschaulichen biblische Geschichten. Wichtig in Zeiten, in denen Viele nicht lesen konnten: Aha, so könnten die Krüge ausgesehen haben. Dieser Krug stammt aus der Spätantike. Solche oder ähnliche Krüge hat man auch zur Zeit Jesu zum Aufbewahren von Wasser genutzt. So wird die Geschichte mir plastisch vor die Augen gemalt.
Mir gefällt die Vorstellung, dass Jesus auch vor so einem Krug gestanden hat, um nach dem Johannesevangelium sein erstes Zeichen zu tun. Ein Zeichen, in dem die Herrlichkeit Gottes aufscheint und sichtbar wird.
Dann möchte ich noch den Reliquienschrein genauer anschauen, in dem sich Reliquien des Evangelisten Markus befinden sollen. Auch er ist reich verziert. Aber dann ist die Führung beendet. Wir werden gebeten, den Raum zu verlassen. Schade, denn die faszinierenden Gegenstände hätte ich mir gerne noch länger angeschaut. Aber die Schatzkammer wird geschlossen. Bis die nächste Führung Menschen wieder ihre Schätze zeigen wird. Vielleicht staunen manche Besucherinnen und Besucher dann nicht nur über die ausgestellten Gegenstände. Vielleicht kommen Erinnerungen an Geschichten in der Bibel hoch, die zum weiteren Nachdenken einladen.
Bei mir war es so.
Stefan Hirschberg
Fotorechte Titelbild: Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg i. Br., Bildarchiv, Aufnahme: Michael Eckmann