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Rückblick auf meine Zeit als Pfarrerin


12. Januar 2025

Sicher liegt das letzte Stück obenauf, wenn man einen Weg betrachtet, der zum Ziel kommt. Doch um bis dahin zu gelangen, gehören auch frühere Stationen zu ihm. Keine Sorge – ich nenne nicht alle! Denn sonst müsste ich mit der St. Petri- und der Schloßkirche in Augustusburg anfangen, wo ich als Pfarrerskind in die Gemeinde und ihre Aufgaben quasi hineingeboren wurde.Da ich mich in den letzten Monaten selbst oft gefragt habe: „Was war das für ein Weg, den ich als Pfarrerin zurückgelegt habe?“, gebe ich Ihnen ein wenig Anteil an diesem inneren Dialog:

Wo und wie hat er begonnen?

Kirche St. Marien Marienberg

GF: Nach Studium und Vikariat 1988 in Marienberg. Zur Ordination im Juni wurde mir zugesprochen: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.“ (Joh. 15,16) Ein gutes Wort – und geeignet auch für Durststrecken und Zweifel.

Was waren markante Erfahrungen dieser Zeit – bis 1994?

GF: Ganz unterschiedliche.
Die schmerzlichste:
Es verbraucht enorme Kraft, wenn Pfarrpersonen in einer Gemeinde nicht kooperieren – Kraft, die anderswo dringend gebraucht würde.
Die kostbarste:
Menschen, die mich als Unerfahrene, Neue, Frau (als Pfarrerin damals noch selten!) vorbehaltlos aufgenommen haben. Die zu Ratgebern, Anstachlern, Tröstern, Freunden… geworden sind.
Die aufregendste:
Das Erleben der Wende 1989 – mit allen zwiespältigen Dingen „rundherum“.Die hoffnungsvollste: Was alles auf einmal geht, wenn engagierte Leute mitmachen.

Nächste Station: Landeskirchenamt -Ausbildungsreferentin (1994-99)…

GF: Dort zu „landen“, hätte ich vorher nie gedacht! Doch die Aufgabe war eine reizvolle Herausforderung. Ich habe eine Menge gelernt.

Was z.B.?

GF: Dass die Perspektive eines „LKA“ eine andere ist als die einer Gemeinde. Oft muss das so sein – weil jeweils andere Verantwortlichkeiten bestehen. Manchmal ist das aber beschwerlich – und dann beklagen sich Gemeinden auch zu Recht.Und wichtig: Dass in diesem (immer schon) viel gescholtenen Haus etliche Leute arbeiten, die mit hoher Kompetenz und ebensolchem Einsatz ihr Mögliches tun für das Wohl unsrer Kirche.

Damals standen die ersten strukturellen Einschnitte bevor…

GF: Das war für viele Studierende und Vikare eine heftige Situation (und für mich, die sie ihnen vermitteln musste, auch.) Die damals weggeschickt wurden, weil es für sie keine Stellen mehr gab, könnten wir jetzt dringend brauchen in unsrer Kirche.

Nach 5 Jahren dann wieder Gemeinde – in Dresden-Leubnitz-Neuostra (1999-2015) …

Kirche Altleubnitz

GF: Daraus wurde der längste Wegabschnitt. Und vielleicht der bunteste. Die 2. Pfarrstelle ohne Pfarramtsleitung bot die Möglichkeit, v.a. „typisch geistliche“ Aufgaben wahrzunehmen – Gottesdienste, Gruppen, Besuche, Rüstzeiten, Glaubenskurse… Die Gemeinde mit vielen aktiven und kreativen Ehrenamtlichen war experimentierfreudig. Und wenn einmal etwas misslang, war es eben auch eine Erfahrung. Und von meinem dortigen Kollegen habe ich mir vieles abgeschaut, was ich dann für unsre Gemeinde hier gebraucht habe.

Und schließlich die St.-Petri-Schloßkirchgemeinde in Chemnitz (2015-24)…

GF: Viele haben damals gefragt: „Warum zieht man denn von Dresden nach Chemnitz?“ – „Weil es sich lohnt. Und weil diese Gemeinde noch einmal neue Herausforderungen bereithält.“ Damals habe ich das Ausmaß der Herausforderungen noch nicht abgesehen. Zum Glück! Denn sonst hätte ich mir die Aufgabe vielleicht nicht zugetraut – und hätte dabei vieles verpasst!

Was hätte womöglich den Mut genommen?

GF: Eindeutig die Struktur-„Reformen“ und alle Einschnitte, die sie mit sich brachten: Zuerst das Verbinden zu einem Schwesterkirchverhältnis mit 5 Schwestern, das sich so mühsam angelassen hat. Und Pfarramtsleiterin zu sein für eine Region statt nur für eine Gemeinde. Dass in den 5 Jahren seitdem viel Vertrauen gewachsen ist, ist erfreulich! Doch es war ehrlicherweise kein leichter Weg. Schmerzhaft auch: die personellen Einschränkungen. Mit dem 1.1.2025 sind 1,25 Pfarrstellen in der Region dauerhaft verloren, ebenso Kantoren- und Gemeindepädagogen-Stellenanteile. Wir merken: Manches, was einmal „normal“ war, können wir mit reduzierten Kräften nicht mehr schaffen. Oftmals sprießt Neues, Unverhofftes hervor auf Brachflächen. Die Natur macht es uns vor. Das wünsche ich mir auch für unsere Region.

Und was hat Mut gemacht – und macht Mut?

GF: Das ist, glaube ich, viel mehr, als ich hier aufzählen kann: Als erstes: Eine große Portion Gottvertrauen.
Und diese Erfahrung: Sie hat sich durchs ganze Pfarrerinnenleben gezogen: Menschen, die engagiert und fair mitarbeiten, die ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten in die Waagschale werfen, die kritisch und offen sind, die „wir“ sagen, wenn sie von den Aufgaben reden – die fördern erstaunliche Kräfte zutage. Weil man dann weiß, es nicht allein schaffen zu müssen.

Grußstunde zur Einführung 2015

Mal konkret…

GF: Ich bin unendlich dankbar für unsre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind ein richtiger Goldschatz! Das merkt man am ehesten, wenn man nichts merkt – also, wenn sich z.B. Kindergarten oder Friedhof nicht mit Problemen melden, weil die Leitenden das bestens allein regeln. Oder wenn es im Pfarramt heißt: „Der (fertig ausgefüllte!) Antrag liegt schon in der Unterschriftenmappe.“ „Ich hab schon mal ein Schreiben vorbereitet.“, Oder ungefragt an die Blumen in der Kirche oder an einen Termin oder an… gedacht wird. Oder wenn die Gemeindepädagogin sagt: „Ich mache das, damit du das nicht machen musst.“ Oder der Hausmeister auf ein Anliegen hin antwortet: „Ist schon erledigt.“ Oder wenn die Mitarbeiterrunde Fehler verzeiht, einen manchmal auch verwöhnt… Das ist alles ein großer Luxus! Oder besser noch: Ein wunderbares, keineswegs selbstverständliches, unverdientes Geschenk! Genauso die Ehrenamtlichen, allen voran unser Kirchenvorstand und die Mitglieder der Ausschüsse – und dort allen voran sein Vorsitzender (DANKE!) – mit den vielen Aufgaben, die sie leisten und ohne die wir als Gemeinde „einpacken“ könnten…

Geht das auch über die Gemeinde hinaus?

GF: Ja. An vielen Stellen bin ich auf Menschen getroffen, die durch Freundlichkeit, Klugheit, verlässliche Beratung und Arbeit beigetragen haben, dass Aufgaben gelingen konnten:
Kolleginnen und Kollegen in der Region, im Verbundausschuss; „Dienstleister“ in der Landeskirche (Personalverwaltung, Gehaltsabrechnungsstelle; die Baupflegerin…), Leute in staatlichen Stellen (die Denkmalsbehörde der Stadt, das Landesdenkmalsamt…), die Nachbarn im Schloßbergmuseum, unser Architekt, der die Sanierung der Schloßkirchenfassade geleitet hat, die Handwerksfirmen, auf die wir zählen können…
(Ich habe bestimmt etliche nicht erwähnt… – Verzeihung!) – Über alle bin ich sehr froh!

Ich verspüre viel Grund zur Dankbarkeit! Aber es war ja nicht alles nur schön! Was hat genervt?

GF: Wenn sich Sitzungen zwar lange hingezogen, aber kein gescheites Ergebnis hervorgebracht haben. Vertane Zeit überhaupt.
Aufgaben, für die mir eigentlich Kräfte und Kompetenzen gefehlt haben und die ich trotzdem erledigen musste.
Das (allzu) häufige Übermaß an Aufgaben – und damit einhergehend das Dilemma: Mit der Entscheidung, eine Aufgabe zu priorisieren, habe ich zugleich eine andere nicht oder nicht so gründlich wahrnehmen können. Nachträglich habe ich mitunter gemerkt: Ich hätte mich anders entscheiden sollen – v.a., wenn ich dadurch Menschen übersehen habe, die Aufmerksamkeit gebraucht hätten. Meine herzliche Bitte ist die um Vergebung, wenn Sie da durch mich enttäuscht oder verletzt wurden! Schlecht umgehen konnte/kann ich mit Unzuverlässigkeit.
Wenn sich für wichtige Aufgaben niemand fand und sie darum an mir und/oder wenigen „immer den Gleichen“ hängenblieben.
Bedienmentalität – wenn „genölt“ wurde, aber die Leute, die für sich hohe Ansprüche geltend machten, nicht bereit waren, von sich etwas zu geben.
Und gravierend: Die Coronazeit. Sie hat viel Schaden angerichtet – dadurch, dass viele Menschen zwangsläufig aus dem Blick geraten sind; dass Möglichkeiten so lange beschnitten waren; dass wir durch unsre Entscheidungen Menschen verloren haben; dass es so lange braucht, ehe wir uns von ihren Folgen erholen…Und schon noch einiges mehr… ;-(

Was macht mich glücklich, wenn ich daran denke?

GF: Viel vermeintlich „Alltägliches“: Begegnungen, Gespräche, schöne Gottesdienste, gelungene Krippenspiele, fröhliche Rüstzeiten, heiße Diskussionen im Glaubenskurs, die Kindergartengottesdienste, die Tonkrippe der Konfis in der Schloßkirche, Leute, die unkompliziert Ja gesagt haben, wenn sie um etwas gebeten wurden. Auf besondere Menschen zu treffen… Das ist in meinem Herzen.


Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, die 3 sichtbaren Seiten der Schloßkirche mit einer neuen „Außenhaut“ zu versehen, und über weitere Projekte, die wir abschließen konnten. Und ich sehe mich als unglaublich privilegiert: In allen 3 Gemeinden durfte ich in besonders schönen Kirchen Dienst tun. Immer gab/gibt es eine vielfältige, hochprofessionelle Kirchenmusik und die entsprechend großartigen Kantoren – ein wunderbarer Reichtum, der gestrahlt, beflügelt, getröstet, das Herz höherschlagen lassen hat! Ohne diesen Reichtum hätte ich nicht sein mögen!

Was bleibt als Frage, als Unerledigtes, offen Gebliebenes?

GF: Ich möchte es als Hoffnung formulieren:
Ja: Etliches bleibt unerledigt. Wie sollte es anders sein bei einem Beruf, in dem man nie „fertig“ ist (jedenfalls nicht mit der Arbeit)? Meine Hoffnung ist, dass Gott, der mir das Pfarramt anvertraut hat, aus dem Bruchstückhaften, Unfertigen, mitunter Verkehrten etwas macht, in dem sein Segen zu finden ist.

Und was kommt jetzt?

GF: Pfarrer/in bleibt man ja für immer. Doch ehrlicherweise sind es jetzt nicht die Vertretungen, nach denen ich mich ausstrecke. Ich freue ich auf Dinge, für die bisher keine oder zu wenig Zeit war. Eines davon ist das Erlernen der italienischen Sprache. In diesem Sinne: „Dio ci benedica! – Gott segne uns!“

Gabriele Führer